Das Klosterleben vermitteln

Über Spiritualität reden ist für uns ein Anachronismus. Die Vorstellung unterschiedlicher Spiritualitäten je nach Orden ist im 16. Jahrhundert entstanden. Unser Orden wurde im 12. Jahrhundert gegründet, wir folgen der Ordensregel des Heiligen Benedikt, die im 6. Jahrhundert niedergeschrieben wurde. Wir folgen nicht einer Spiritualität, aber wir haben den Wunsch, heute erneut das zu machen, was der Heilige Benedikt seinen Brüdern vorgeschlagen hat: nämlich dem Evangelium zu folgen. Um zu verstehen, wie er das meinte, genügt es das erste und letzte Wort der Ordensregel zu lesen: „Höre, … so wird es dir gelingen…“. Der Weg des Evangeliums bedeutet während eines ganzen Lebens Offenheit dem gegenüber, was Gott dem Herzen des Menschen sagen will, um zu Gott zu gelangen. Die Ordensregel bildet eine Schule, in der man Gottes Wort zuhören und gehen lernt. Zuhören bedeutet ganz und gar Gebet, also weder Geschwätz noch Prüfung unserer Gefühle. Das Wort Gottes hört man auch während des Gottesdienstes beim Singen der Psalmen, man hört es selbstverständlich auch in der lectio divina und es wird im brüderlichen Leben praktisch gelebt. All dies bildet den Weg eines jeden Tages, um Gott zu begegnen, einen Weg, dessen Echtheit sich an klaren Punkten überprüfen lässt.

Der heilige Benedikt gründete ein Kloster im Süden Italiens und wir sind seine Nachkommen, so wie wir auch Nachkommen von den ersten Mönchen in Ägypten, Sankt Antonius, Sankt Pachomius, im 4. Jahrhundert sind. Damit man von Nachkommen sprechen kann, braucht es eine Kette. Die Tradition geht von denjenigen, die sie kennen, an diejenigen, die sie noch nicht kennen, von denjenigen, die sie kennen gelernt haben, an diejenigen, die sie kennen lernen, damit sie eines Tages zu jenen werden, die sie weitergeben. Die Weitergabe verläuft nicht von selbst. Sie verlangt eine Beziehung von einer Person zur anderen. Es handelt sich dabei nicht um einen weiterzugebenden Block, so wie man zum Beispiel einen Ball erhält und ihn wirft, um ihn dem Nachfolgenden weiterzugeben und dann dem danach Folgenden. Es handelt sich um eine Lebensweise – zuhören, um zur Begegnung mit Gott zu gelangen -; wir versuchen das für uns selbst zu verwirklichen, bevor wir es an andere weitergeben, denn diese Lebensweise bewirkt Seligkeit, und damit auch sie diese Seligkeit empfangen können: ihrerseits zuhören und gehen.

Im Innern des Klosters geben es die Älteren an die Jüngeren weiter. Der Abt zum Beispiel und der Novizenmeister geben den Jungen das weiter, was sie bekommen haben, und beim Weitergeben bereichern sie es, sie fügen ihre eigenen Erfahrungen zu dem, was sie selber empfangen haben, hinzu. Als ich ins Kloster eingetreten bin, erhielt ich von einem Mönch, dem Pater Hieronymus, der bereits 40 Jahre im Kloster lebte, die Erfahrung vermittelt, die er sich angeeignet hatte. Davon habe ich das behalten, was ich konnte, und dann habe ich versucht danach zu leben und es dann an andere weiterzugeben. Der Lehrpater hat dasselbe bekommen, hat es für sich selbst aufgenommen und gibt es dann auf seine Weise den Novizen weiter.

Wenn man das Glück und die Möglichkeit hat, nicht nur im Innern des Klosters, sondern auch an eine andere Gemeinschaft weiterzugeben, dann handelt es sich um eine Gründung. Das ist in Nový Dvůr geschehen. Junge Tschechen sind hierher gekommen, um Mönche zu werden, wir haben sie empfangen und ausgebildet. Zunächst gab es die Weitergabe innerhalb der Gemeinschaft. Dann ist ein Teil der Gemeinschaft, übrigens Tschechen und Franzosen, für die Gründung weggegangen. Es ist wie bei einem Baum, der Früchte trägt und der, unter anderem, mit einem Schössling zu einem neuen Baum werden kann. Dabei handelt es sich nicht um die Weitergabe einer leblosen Sache von einer Gemeinschaft zur anderen. Es handelt sich um die Weitergabe eines Lebens, das an einem neuen Ort, auf einem neuen Boden und in einem anderen Klima seine eigene Eigenart und seine eigene Farbe annehmen wird. Auch wenn diese zwei Bäume zur gleichen Art gehören, so sind sie trotzdem nicht identisch. Sie sind etwas Ähnliches und jeder hat seine eigene Persönlichkeit.

Warum sind die tschechischen Brüder nach Sept-Fons gekommen, sind geblieben und haben sich verpflichtet? Das ist etwas, was Gott schenkt, das nicht von uns kommt. Natürlich kann man menschliche Gründe beschreiben, aber im Grunde genommen ist es Gott, der einem Jungen den Wunsch verleiht, Mönch zu werden, ihn in eine Gemeinschaft führt, damit er eine Ausbildung bekommen kann, zuhören und gehen lernt, um sich eines Tages zu verpflichten. Wir sind Instrumente, armselige Instrumente, mehr oder weniger vollkommen, ziemlich unvollkommen. Wir haben von Gott eine Fähigkeit erhalten, die wir nicht verdienten, wir sind aber glücklich, sie erhalten zu haben.

Das Ideal eines Mönchs ist ein auf Gott gerichtetes Herz, ein fortwährendes Gebet. Wir erreichen das nur nach und nach und vielfach erst am Ende unseres Lebens. Aber an jedem Tag ist unsere beste Zeit dem Gebet gewidmet: Gottesdienst, persönliches Gebet… Alles, was wir tun, ist ans Gebet gebunden. Es wird wirklich zum Kern unserer Existenz. Und wir können dieses Zeugnis ablegen: aus diesem Grunde leben wir im Kloster, und ohne das hätte unser Leben gar keine Bedeutung.