7. Dezember 1961-1989-2014, 25. Todestag von Bruder Theophan
Homilie von seinem Bruder, Pater Sébastien
Nach Gottes Willen geschieht alles zu unserem Besten.
Diese christliche Auffassung des Seins ist für niemanden eine Selbstverständlichkeit. Doch mithilfe dieser Auffassung kann unser Leben zu einer Einheit zusammenwachsen und diese Auffassung bringt Heilige hervor.
Heute vor 25 Jahren bereitete sich unser Kloster während der Vigil der Unbefleckten Empfängnis auf die Feier eines Ordensgelübdes vor. Am Abend aber verstarb unmittelbar vor der Komplet Bruder Theophan, mein älterer Bruder. An seinem 28. Geburtstag erlag er einem Hirntumor. Wir waren bei ihm. Unmittelbar nach seinem Tod sagte der Novizenmeister, der eigentlich kein Mann großer Worte ist: „Bruder Theophan hat den Sieg davongetragen!“ und später fügte er hinzu: „Er hat in wenigen Jahren die gleiche Strecke zurückgelegt wie Pater Hieronymus in 50 Jahren“. Sibyllinische und nahezu vermessene Worte aus dem Munde des Mannes, der Pater Hieronymus und Bruder Theophan am besten gekannt hat.
Mit den Jahren habe ich seine Worte besser verstanden.
Pater Hieronymus hat eine bedeutende spirituelle Erfahrung erlebt und es verstanden, diese niederzuschreiben und zu vermitteln. Bruder Theophan hat unter einer liebevollen Zuchtrute durchlebt, was ihm gelehrt wurde und hat innerhalb von sechs Jahren durch das Durchleben dieser Erfahrung gleichsam den Lauf eines Riesen bewältigt, trotz seiner Schwäche, seiner Zaghaftigkeit und schließlich seiner Machtlosigkeit.
Bei Pater Hieronymus sehen wir beispielhafte Treue zum klösterlichen Leben, Sicherheit in Urteil und Lehre, intellektuelle Größe und natürliche Vornehmheit; all dies zu einer bewegten Zeit, während der sein Alltag asketisch und einsam war, ein beispielhaftes klösterliches und priesterliches Leben, voll Überzeugung und Andacht, sodass er fähig war, all dies geradezu meisterlich zu vermitteln.
Bei Bruder Theophan könnten wir sagen nichts oder fast nichts dergleichen. Wir sehen einen schlichten Samen, dem keine oder kaum Zeit blieb, sich zu entfalten und die schwere Krankheit, der er erlegen ist. Sie bilden mit seinen intellektuellen Fähigkeiten seine einzigen Merkmale, seine einzige Besonderheit.
Mein Bruder war innerhalb weniger Jahre Schüler von Pater Hieronymus und anschließend von Pater Jean-Hervé Nicolas, wobei sich die beiden nicht kannten. Doch diese beiden erfahrenen Lehrmeister kamen zu dem gleichen Schluss: Bruder Theophan war ihr bester Schüler. Eine Einschätzung, die Bruder Theophan vielleicht zu überschätzen scheint. Große intellektuelle Fähigkeiten und Heiligkeit passen nicht zwangsläufig zusammen; es geht jedoch um Heiligkeit.
Das einzige wahre Geheimnis unseres Lebens ist das Mysterium der Begegnung von Mensch und Gott, die Freundschaft, die uns mit Unserem Herrn und der Seligen Jungfrau Maria verbindet.
Aber was ist zu tun, um den Sieg davonzutragen?
Wie lässt sich dieser Lauf eines Riesen bewerkstelligen?
Wie sollen wir unsere eigene Begegnung mit dem Herrn herbeiführen? Diese Frage quält das Herz eines jeden von uns und insgeheim auch das Herz des Ungläubigen.
Das Evangelium gibt uns in Gestalt des beeindruckenden, kantigen Johannes des Täufers die Antwort: „die Stimme, die in der Wüste ruft: Ebnet den Weg für den Herrn“.
Der Selige Guerric von Igny, ein Zisterzienser-Abt des 12. Jahrhunderts, kommentiert in seiner 5. Predigt zur Adventszeit dieses Evangelium und legt es folgendermaßen aus: Wir sind es, die dem Herrn den Weg ebnen müssen. Dann wird uns der Herr über den geebneten Weg entgegenkommen.“
Wenn es meinem Bruder gelungen ist, seinen Lauf zu meistern, auch wenn dieser nur ein zuckender Blitz am Horizont war, dann, weil er es voll Treuherzigkeit verstand, seine Intelligenz den vorgezeichneten Weg einschlagen zu lassen, nicht den Weg einer Schule, eines Lehrmeisters oder eines hoch verehrten Älteren, sondern schlicht und einfach den Weg der Frohen Botschaft des Evangeliums, die den Armen verkündet wurde, gesäumt von der Regel des Heiligen Benedikt, unseres Seligen Vaters und den Traditionen der Zisterzienser.
Bruder Theophan war zwar klein und wurde zunächst von seinen Ängsten gelähmt. Dann aber wurde er von einem sicheren Instinkt geleitet, der dank der Gnade wuchs. Er hat den Lauf mit ganzem Herzen und besser als jeder andere in Angriff genommen. Und als ihn die tödliche Krankheit in ihren Fängen hatte, konnte sie ihn nicht mehr aufhalten, auch wenn sie ihn verändert hat.
Es ist paradox, Johannes den Täufer mit Bruder Theophan in Verbindung zu bringen. Es ist jedoch keinesfalls Willkür. Die Verbindung besteht seit langem und ist tatsächlich vorhanden, denn zum Fest Johannes des Täufers legte er im Jahr 1986 seine ersten Gelübde ab und sein Ordensgelübde wollte er ausdrücklich am Johannistag, am 24. Juni 1989 ablegen, ein halbes Jahr vor seinem Tod.
Darin liegt für uns mehr als eine Ermutigung. Der bescheidene Weg der Kleinen mündet in den Weg der Größeren, sobald die grundlegendsten, die einfachsten und banalsten Grundsätze des Evangeliums wirken: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Ihr werdet Ruhe finden für eure Seele.“
Wir alle sind eingeladen, genau diesen Weg zu gehen. Amen.