Vierter Brief des Novizenmeisters von Sept-Fons an P. Lev, Novizenmeister von Nový Dvůr
Vierter Brief des Novizenmeisters von Sept-Fons
an P. Lev, Novizenmeister von Nový Dvůr
(Auszüge)
Auf Deine Frage: „Welchen Gesetzen sollten die Beziehungen zwischen einem Pater Abt und einem Novizenmeister unterliegen?“ gibt es keine einfache Antwort. Eigentlich ist eine Antwort darauf nahezu unmöglich. Ich werde es dennoch versuchen […]: Ich schreibe Dir diesen Brief anlässlich des 30. Todestags von Pater Hieronymus am 29. Januar 1985. Er war ein außergewöhnlicher Lehrmeister und für mich mein einziges Vorbild.
Pater Louis, der in den siebziger Jahren Novizenmeister in Sept-Fons war, sagte: „Die Novizenmeister werden nicht geschätzt!“ Das war bei weitem nicht sein einziger Aphorismus, aber ich werde sie nicht alle zitieren! [...]
Wieso war ein so demütiger und ehrenhafter Mann dermaßen desillusioniert? In der Regel würde die Antwort darauf zu Recht lauten, dass der Abt, die Äbte, die Oberen neben ihrem eigenen Einfluss kaum einen anderen dulden.
Darin steckt ein Funke Wahrheit. Dies wurde mir in zahlreichen vertraulichen Gesprächen mit Novizenmeistern und Novizenmeisterinnen bestätigt: Neid, Eifersüchteleien, Kämpfe um Macht und Einfluss, Autoritätsstreitigkeiten, etc. gibt es bei Nonnen und Mönchen gleichermaßen. Das ist menschlich und verständlich. Auf einem Schiff kann es nur einen einzigen Kapitän geben.
Die heilige Regel sagt jedoch klar und deutlich: „Der Abt teile seine Last unbesorgt…“ Und eine der Statuten des Schriftstücks über die Ausbildung in unserem Orden stellt klar: „Zwischen Abt und Novizenmeister muss eine tiefreichende Gemeinsamkeit des Geistes, des Herzens und der Richtung bestehen.“
Der Abt muss daher Amtsträger auswählen, die seine Vorstellungen und Sichtweisen teilen. Das sollte die Risiken verringern.
Der Abt darf keine Angst haben, sich einen guten „ersten Offizier“ zur Seite zu stellen, der seine Ansichten teilt, einen standhaften Mann mit Urteilsvermögen. Doch das reicht nicht aus!
Auch unsere Verfassungen äußern sich zu diesem Thema. Als sie in den neunziger Jahren erschienen, war ich bereits seit langem Novizenmeister. Ich fragte mich, was sie wohl sagen würden und machte mich auf einiges gefasst. Zu unrecht. [...]
Zu diesem Thema sagen sie:
„Der Novizenmeister wird aufgrund seiner Fähigkeit ausgewählt, Seelen für sich zu gewinnen; er soll bedachtsam sein, tief von der klösterlichen Disziplin erfüllt, er muss es verstehen, den Jungen die Weisheit der Väter zu vermitteln und er soll ihnen als Leitfigur dienen können.“
Diese Beschreibung ist korrekt, ausgewogen und vernünftig.
Doch diese Bedingungen reichen immer noch nicht aus, auch wenn sie das Problem anreißen, denn der Novizenmeister benötigt in der Tat noch etwas Anderes, und zwar Charisma. [...]
Das Wort wurde so oft missbraucht, dass es fast bedeutungslos geworden ist. Sehen wir uns seine ursprüngliche Bedeutung an: eine besondere Gabe der Gnade zum allgemeinen Wohl; die Fähigkeit, eine gesunde Autorität auf andere auszuüben.
Ich wurde schon mehrfach um Rat ersucht, wenn es um die Benennung von Novizenmeistern ging. Die Äbte (und Äbtissinnen) müssen sich mit denen begnügen, die ihnen zur Verfügung stehen, und heutzutage sind ihre Auswahlmöglichkeiten häufig beschränkt. Haben sie jemanden vor sich, der „es machen könnte“, denken sie, dass einige gute Lehrgänge, einige gute Schulungen – meist in einem eher ignatianischen Rahmen, was für uns Mönche der falsche Weg ist – ausreichen, damit „es läuft“, dass theoretische Kenntnisse Unzulänglichkeiten und fehlende Eigenschaften wettmachen können. Das ist eine Illusion.
Und nun? Was ist Charisma?
Das ist gar nicht so leicht zu sagen. Zunächst ist es gewiss ein Zusammentreffen all dessen, was wir gerade aufgezählt haben:
– dass der Novizenmeister seinen Platz kennt.
– dass er bedingungslos und klug mit dem Vater Abt an einem Strang zieht.
– dass er die von unseren Verfassungen genannten Eigenschaften besitzt.
– dass er einen „Draht“ zu den jungen Brüdern hat, will heißen... dass er Charisma hat.
Die Situation, das Tandem, das ihr bildet, ist dermaßen komplex und anspruchsvoll, dass auf keine dieser Eigenschaften verzichtet werden kann.
Das Auto kann noch so gut eingefahren und die Fahrer können noch so erprobt sein, keiner ist für den Zustand der Straße, beziehungsweise für die auszubildenden Brüder verantwortlich. Das ist die große Unbekannte.
Doch all dies, die Fülle der genannten Eigenschaften, ist noch immer keine Antwort auf Deine Frage:
Wie kann dieses Gespann aus Abt und Novizenmeister gelingen? [...]
Für seinen Erfolg müssen viele Faktoren zusammentreffen! Doch es gibt ihn! Er liegt in Euren Händen, in den Händen von Dom Samuel und Dir.
Er hat seinen Ursprung in all dem, was ich Dir gerade geschrieben habe sowie in einer grenzenlosen gegenseitigen Achtsamkeit.
Dieses Fingerspitzengefühl ist nicht auf Gemeinsamkeiten, Feinfühligkeit, Sympathie, Freundschaft oder ähnlichem begründet, sondern, ohne all dies auszuschließen, auf einem stabilen Fundament geteilter Ansichten und der Achtung für unsere gemeinsame klösterliche Berufung. Denn sie ist es, die die meisten Postulanten ins Kloster „zieht“:
– feierlicher Gottesdienst
– Fürbitten für die Welt
– Vertrautheit mit Gott, auf dieser basiert unser ganzes klösterliches Leben, innerhalb einer Gemeinschaft von Brüdern, die ein gemeinschaftliches Leben teilen, inklusive Skriptorium und Dormitorium, Handarbeit, Stille und echter Weltabgeschiedenheit.
Wie dem auch sei. Ihr werdet dazu in der Lage sein, die Jungen aufzunehmen und gemeinsam auszubilden... falls diese kommen. Denn die Berufungen an sich bleiben ein großes Geheimnis. Das große Mysterium Gottes und der Heiligen Jungfrau, die diese spenden. [...]